Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen in Serbien, April 2022.
Stimmung der Menschen
„Depression“ ist das Wort, mit dem viele Bürger in Serbien in diesen Tagen ihre Stimmung beschreiben.
Die aktuelle Präsidentschafts-, Bundestags- und Parlamentswahlen in mehreren serbischen Städten, einschließlich der Hauptstadt Belgrad, haben das Mandat der an der Macht befindlichen konservativen Partei – der Serbischen Fortschrittspartei – und des amtierenden Präsidenten Aleksandar Vučić verlängert. Trotz der großen Erwartungen an politische Veränderungen und trotz der neuen Energie einer Vielzahl von Bürger*innen, die Ende letzten Jahres durch Massen-Umweltproteste initiiert wurden. Nach den vorläufigen Ergebnissen der Staatliche Wahlkommission, die erst 4 Tage nach der Wahlen veröffentlicht wurden, gingen 59,3 % der Bürger zur Wahl. Aleksandar Vučić gewann bei den Präsidentschaftswahlen mit 58,54 %, und Zdravko Ponoš, ein Vertreter einer der demokratisch orientierten Koalitionen, belegte mit 18,42 % den zweiten Platz.
Ähnlich verhält sich auch das Machtgefüge im Parlament selbst. Wobei es hier wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die von Slobodan Milosevic gegründete Serbischen Partei der Sozialisten als drittstärkste Partei seit den 1990er Jahren kontinuierlich im serbischen Parlament präsent ist.
Die serbischen Rechtsparteien erhielten ähnlich viele Stimmen wie die Grün-Links-Koalition. Die Wahlen für Belgrad erwiesen sich als „am problematischsten“, daher werden sie in zahlreichen Wahllokalen wiederholt. Nach Angaben des unabhängigen CRTA (Center for Research, Transparency and Accountability, eine unabhängige, überparteiliche Organisation der Zivilgesellschaft, die sich der Entwicklung einer demokratischen Kultur und zivilgesellschaftlichem Aktivismus verschrieben hat) in Belgrad, erhielten Oppositionsparteien, das heißt Pro-Demokratie-Koalitionen, mehr Stimmen als auf Bundesebene. Also tatsächlich wohl so, wie es der Slogan eines der Oppositionskandidaten für „Belgrad gibt es Hoffnung!“ sagt. Ob dem so ist, wird sich am 16. April bei den Neuwahlen zeigen.
Wahlatmosphäre und Perspektiven
Viele gingen davon aus, dass die Aufdeckung zahlreicher Korruptionsskandale der jetzigen Regierung, Beispiele von Verfassungsverstößen sowie die Erstickung freier Medien in Serbien die Motivation der Bürger zum Regierungswechsel stärker steigen ließen, als die Ergebnisse zeigen. Statt bis 20 Uhr waren die Wahllokale dieses Mal aufgrund des gestiegenen Interesses bis 22 Uhr geöffnet. In der Wahlnacht erklärte die Regierungspartei jedoch bald wieder ihren Sieg. Dies wurde von ihr und dem Staatspräsidenten Aleksandar Vučić entgegen den vorgeschriebenen demokratischen Verfahren durchgeführt, nach denen die staatlichen Wahlkommissionen als erste die Ergebnisse der Abstimmung bekannt gab. Diese Tatsache spiegelt den tatsächlichen Stand der Dinge in Serbien wieder – der Staat und die staatlichen Institutionen sind eigentlich -Aleksandar Vučić. Wie in jedem totalitären Staat verwaltet er und eine kleine Clique von Menschen um ihn herum, alle Hebel der Macht und mischt sich überall ein. Nach dem Präsidenten kündigte die Landeswahlkommission an, die Ergebnisse erst am kommenden Tag um 20 Uhr bekannt zu geben! Auch alle Oppositionsparteien verstummten, was ihre Wähler weiter enttäuschte. Allerdings zeigt dies auch den Stand der Dinge bei der serbischen Opposition: Uneinig, oft orientierungslos, mit öffentlich sichtbaren internen Reibungen, vor allem aber öffentlich von Behörden und Regimemedien heftig verachtet, zog sich die Opposition 2019 aus dem serbischen Parlament zurück. Dutzende Parteien und Bewegungen würden sich kurz vor diesen Wahlen zusammenschließen, aber nicht in einem, sondern in drei Koalitionsbündnissen. Eine schnelle und konkrete Reaktion oder ein offizielles Statement der Opposition war umso notwendiger, als am Wahltag Auslassungen und physische Auseinandersetzungen bei den Wahlen auffielen. Der Führer der oppositionellen Bewegung Freier Bürger wurde ebenfalls körperlich angegriffen, als er bemerkte, dass im Wahllokal von Vertretern der regierenden Opposition parallele Wählerlisten geführt wurden, und ihn aufforderte, dies zu dokumentieren und auszusetzen. Dies wurde bereits während der Abstimmung von den unabhängigen serbischen Medien berichtet und sofort von Viola von Cramon sowie ODHIR – dem Gremium zur Beobachtung der Wahlen innerhalb der OSCE – darauf hingewiesen:
„Anwaltsteams der Opposition liegen Beweise für Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug vor“, sagte Nebojša Zelenović, Inhaber der parlamentarischen Liste der grün-linken Koalition „Wir müssen“, die auch Auslöser von Umweltprotesten in Serbien war. Der Präsidentschaftskandidat dieser Oppositionskoalition war übrigens eine Frau – Prof. Dr. Biljana Stojković, eine konsequente Kämpferin für Menschen- und Umweltrechte.
Die Depression vieler serbischer Bürger hat ihre tiefen Gründe. Die Tatsache, dass die Opposition in den Landtag zurückgekehrt ist und die pro-demokratische Opposition in 55 Wahllokalen, in denen die Wahlen am 16. April wiederholt werden, eine Chance hat, ihren Status zu verbessern, zeugt jedoch von einem gewissen Optimismus. Es bleibt allerdings die Frage, wie die Wahlbedingungen verbessert werden können, unter denen der Vorwahl- und Wahlprozess stattfindet, der sich wiederum als sehr unfair herausgestellt hat.
Vladimir Radinović, Community-Radio-Experte aus Belgrad und Gründer des Portals podcast.rs, spricht über diesen „Knoten von Gordy“ serbischer politischer und gesellschaftlicher Realität. Vladimir ist am 7. Juli in einer Talkrunde auf dem Internationalen Donaufest zu Gast in Ulm, zu hören im Rahmen einer Live Übertragung direkt vom Festgelände.
Olivera Stošić Rakić